Spricht man heute von der Weihnacht im Felde, wird oft ein melancholisches Bild von Soldaten in Unterständen mit einem kleinen Tannenbaum und einem Paket aus der Heimat gezeichnet. Heimweh kann einen selbst heute noch ergreifen wenn man die Schilderungen der Soldaten liest. Es könnte der Eindruck entstehen im Weltkrieg habe an Weihnachten ein kleiner Frieden geherrscht den beide Seiten respektierten. Dieser Eindruck täuscht. Wohl möchte ich nicht bestreiten, dass solche Begebenheiten stattfanden, es finden sich aber auch mehr als genug Quellen die das Gegenteil berichten. Besonders an den Brennpunkten der Fronten ging der Krieg seinen gewohnten, grauenvollen Gang ungeachtet des Weihnachtsfestes. Wie unterschiedlich das Erleben sein konnte zeigen die Berichte des Soldaten Josef Hötzmannfeder welcher die Weihnachtstage 1915 im Feldspital in Soca verbrachte und der vorliegende Bericht von Hans Heinz Mantau welcher sich in den Stellungen am Vrsic befand. Beide Orte lagen kaum mehr als zwei Kilometer Luftlinie auseinander.
Im Neuigkeits-Welt-Blatt vom 17. November 1931 erinnerte sich der Soldat an eine tragische Kriegsweihnacht die er 1915 am Vrsic erlebte. Unmittelbar zuvor war der berühmte Louis Trenker Film "Berge in Falmmen" in die Kinos, welcher aufgrund seines Realismus einen Meilenstein in der Bergfilmgeschichte bildete. Lassen wir nun den ehemaligen Soldaten Hans Heinz Mantau zu Wort kommen. Seine Wortwahl und Schreibweise möge der Leser im Kontext der Zeit sehen.
Als die Berge wirklich brannten...
Erinnerung an die größte Lawinenkatastrophe des Weltkriegs
Von Hans Heinz Mantau
"Im Tonfilmtheater ,,Scala" in Wien läuft derzeit der Film »Berge in Flammen«· Kein Film vorher hat den verzweifelten Heldenkampf österreichischer Gebirgstruppen gegen die Italiener so überzeugend und so wahrheitsgetreu gezeigt wie dieser. Abgeschlossen von allen Lebewesen. Allein, grenzenlos allein mussten sie da oben sterben. Einer nach dem andern. Nicht nur im Kampf gegen die Kanonen, Maschinengewehre und Gewehre der Italiener, sondern auch
gegen die rasende Kälte und den heimtückischen Weißen Tod die Lawinen. Ich habe des Weltkriegs furchtbarste Lawine erlebt, ich war einer der wenigen Überlebenden. Sie überraschte meine Kompagnie in der Nacht vom 25. zum 26. Dezember 1915. 39 Tote und über 50 Verwundete innerhalb Sekunden.
Aufgeteilt in mehrere Gruppen »klebte« die zweite Kompagnie des (österreichischen) Schützen-Regiments Nr. 2 aus Linz seit drei Monaten an den Abhängen, auf den Plateaus und in den Felsenlöchern zwischen der Kote 1776 und dem
zuckerhutähnlichen Lipnik. Wilder, zerklüfteter armseliger Karst. Kein Baum, kein Strauch. Nur Schnee und Eis. Seit September 1915 hatten die
»Zweier-Schützen« den Einbruch ins Lepenje-Tal verwehrt. Es handelte sich um eine der wichtigsten Gebirgsstellungen. Wenn es den Italienern gelang, die Stellung zu stürmen, dann fiel ihnen auch die Kote 1776 in die Hände. Und dann? Dann stand den Italienern der Weg ins Soca-Tal offen, führte von dort entweder über den Predil-Paß zum Raibl-See oder über den Mostrowka-Paß nach Krain... nach Kärnten. »Halten bis zum letzten Mann!« So lautete der Befehl. Nicht nur einmal ist er gekommen. Zwanzigmal wurde er verlesen. Und so hielten die braven Oberösterreicher, Linzer, Salzburger, Innviertler und Mühlviertler. Wochenlang gab es Kampf Mann gegen Mann. Hinter Felsvorsprüngen, in kleinen Felsrinnen, hinter Schneewällen lauerte der Tod. Mit Steigeisen, Eispickeln, Seilen und Schneeschuhen ausgerüstet schlichen die Patrouillen aus der Stellung und... kamen nicht wieder. Pfeilschnell jagten die Skiabteilungen über die steilen Hänge. Ein Fehltritt... verloren. Cadorna, der damalige italienische Oberkommandant, hatte wiederholt die italienischen Stellungen am Vrsic und auf der Vrata inspiziert und persönlich die Sturmangriffe seiner Elitetruppen mit angesehen. Aber die italienische Trikolore fand keinen Platz auf dem Felsenmassiv, das vom Schützenregiment Nr. 2 verteidigt wurde. Wenn auch einige Male feindliche Sturmabteilungen unter schweren Opfern im Schutze der Nacht, im Schutze eines Schneesturms oder des Nebels vereinzelte österreichische Posten überrennen konnten, so war diese Freude von kurzer Dauer. Schon nach wenigen Stunden warfen sich die »Linzer« wieder auf den Feind. Und das siegreiche »Hurra« der Österreicher übertönte bald das »Avanti savoya« der Italiener. Und die Ruhe war wieder hergestellt. Die »Ruhe«. Diese unheimliche Ruhe. Verkrampft, halbverdeckt im Schnee oder für ewig verschwunden in den tiefen Schluchten, lagen dann Freunde und Feinde. Ruhe... Kampf in den Bergen. Kampf auf Felsensteigen und Pfaden, die nicht mehr als dreißig Zentimeter breit waren. Kampf auf Abhängen,
die in 500 Meter tiefe Schluchten führten. Oben drohten Schneebretter und Lawinen. Jeder Geschosseinschlag ließ ungeheure Schneemassen losdonnern, machte die Berge erzittern.
Weihnachten 1915. Der 25. Dezember war gekommen. Um die Mittagszeit hatte schweres feindliches Geschützfeuer eingesetzt. In der ganzen Umgebung gingen Lawinen nieder. Unsere Stellung lag besonders ungünstig. Sie Iag schräg von der Kote 1776 abwärtslaufend und wurde andauernd von italienischen Maschinengewehren bestrichen, die auf dem Vrsic, der unsere Stellung überhöhte, eingebaut waren. Gegen 5 Uhr nachmittags setzte ein Schneesturm von nie dagewesener Stärke ein. Plötzlich begann es auch zu blitzen und zu donnern. Es schneite, regnete, hagelte. Dazwischen die grellen Blitze. Elektrische Funken tanzten auf den Gewehrläufen, auf den Bajonetten und auf den Handgranaten. Und nun auch die schweren Einschläge der feindlichen Artillerie. Inferno!
»Werden sie kommen?« »Ist es möglich, dass die "Katzelmacher" bei diesem Wetter angreifen?« Schlag auf Schlag krachten die schweren »Bummerln« auf die Felsen. Vorposten und Patrouillen meldeten: »Keine Sicht, aber verdächtiges Klirren vor der feindlichen Stellung!« Wir kannten dieses »Klirren« nur zu gut.
Es kam von dem Aufstoßen der Bergstöcke und Eispickel auf die Felsen. Ein Zeichen, daß der Feind anschlich. Um 7 Uhr abends waren in unserer Stellung
drei Leute erfroren. Kurz nachher stürzte ein Unteroffizier mit einer Skipatrouille ab. Er hatte im Schneesturm den Weg verfehlt. Gegen 8 Uhr abends begann die italienische Artillerie mit schwerstem Kaliber die Spitze der Kote 1776 zu beschießen. Teile der dritten Kompagnie, die dort fast ungeschützt aushalten mußten hatten schwere Verluste. Emportosende Feuergarben auf dem Lipnik zeugten davon, daß nunmehr auch dorthin das feindliche Feuer gelenkt wurde. Dazu das schauerliche Konzert des Schneesturms, gepaart mit Blitz, Donner und Hagel. Maschinengewehre, Gewehre, Handgranaten und Dolchmesser bereit, kauerten die todesmutigen Soldaten in ihren armseligen Unterständen. »Werden sie kommen?« Das war die Frage, die unausgesprochen blieb. Sie sind gekommen. Nicht die Italiener. Dafür aber die Lawinen. Es mochte vielleicht 10 Uhr nachts gewesen sein. Da ein unheimliches Kreischen, ein Sausen, Wirbeln, Pfeifen dann ein grauenhaftes Heulen und vorbei war alles. Im wahrsten Sinn des Wortes alles. Ich fühlte mich gepackt und in die Luft gerissen. Dann wurde ich wieder zu Boden geschleudert... sank in etwas Weiches... wurde zusammengepresst... bekam keine Luft... wollte schreien... die Lungen drohten mir zu bersten... ich riss und stieß um mich... strampelte mit den Beinen... bekam auf einmal Luft... Luft... Luft kam frei... frei. Ich war im Kreis herumgewirbelt worden. Lag nicht weit von dem Unterstand des Kompagniekommandanten Hauptmann Hainschwang im weichen Schnee. Und nun sah ich, was geschehen war. Da, wo früher die Unterstände der Kompagnie gewesen waren, war eine weiße Fläche. Grabesruhe. Nein jetzt begann es sich unheimlich in dieser weißen Fläche zu regen. Da ein Arm, der herauskam, dort ein Bein. Neben mir hörte ich röcheln ... an einer anderen Stelle wieder bewegte sich der Schnee und irgend etwas versuchte, sich aufzurichten.
Zehn waren wir, als eine Stunde vergangen war. Der Hauptmann, der Sanitätsfähnrich, ein Feldwebel sechs andere brave Soldaten und ich. Mit bloßen Händen,
halberstarrt infolge der großen Kälte und der durchnässten Kleider, teilweise ohne Mäntel, ohne Waffen wühlten und gruben wir. Stießen auf verkrampfte Hände und Beine auf zerschmetterte Köpfe, auf eingeklemmte, schwerverletzte Kameraden, die uns nur noch mit den Augen um Hilfe anflehen konnten. Wir wühlten...
wühlten und fanden dann nur mehr... Leichen. Zwei Tage lang haben wir da oben gesessen. Nach und nach erstarrten wir. Von den Toten haben wir uns alles das genommen, was uns vor dem Erfrieren schützen konnte. Von den Schwerverletzten ging einer nach dem andern dahin... Endlich kam die Hilfe. Wie eine
Riesenschlange wand sich in endloser Reihe Ersatz und Hilfsmannschaft den Berg herauf. Die Verwundeten und auch die Toten wurden ins Tal geschafft. Seit 16Jahrenschlafen diese 39 Toten, Linzer, Salzburger, Mühlviertler und Innviertler, in einem gemeinsamen Grab im Lepenje-Tal am Fuß des Berges, auf dem sie vom Tod ereilt wo waren. "Wanderer, kommst du zu dieser Stätte, dann neige dein Haupt vor diesen Helden die der weiße Tod bezwang ...." So steht auf dem Stein geschrieben der ihr Grab schmückt. Berge in Flammen! Willkommenes Wetter für den Weißen Tod! "
Josef Hofmann
Einer der 39 Toten der Weihnachtslawine am Vrsic
Das Sterbebild von Josef Hofmann kaufte ich vor etwa 10 Jahren bei einem Internetauktionshaus. Von der Weihnachtslawine am Vrsic hatte ich damals nur am Rande gehört. Ich fand das Sterbebild nur sehr traurig, da der Soldat an Weihnachten gefallen war. Umso mehr freute es mich, dass es mir Gelang im Rahmen meiner Recherche sein Schicksal so umfangreich aufklären zu können. Nicht nur, dass ich in Tageszeitungen Berichte von Zeitzeugen finden konnte, ich fand auch zwei Todesanzeigen für Josef Hofmann die seine Person aus der Vergessenheit holen können.